Die Silbermann-Orgel der Kirche Groß-Hartmannsdorf


Die Fassung des Kastens ist bräunlichgelb mit hell-graublauen Feldern. Die Ornamentmalereien sind in bräunlichem Ton; Schleierbretter und Schnitzwerk hat man vergoldet.
Unter den noch vorhandenen 30 Orgeln Gottfried Silbermanns hat die in der Dorfkirche von Großhartmannsdorf im sächsischen Kreis Brand-Erbisdorf einen hohen Stellenwert: Zum Einen ist sie in einem außergewöhnlich guten Erhaltungszustand und zum Anderen hat der Orgelbaumeister dafür konkrete Registrieranweisungen hinterlassen. Selten dürfte es zudem eine derartige Harmonie zwischen den technischen Details der Disposition (Mensuren, sonstige Parameter) und tatsächlich realisierbaren Klangvorstellungen geben.
Das Instrument liegt jetzt als Sample-Satz von Pipeloops vor; es ist als DVD erhältlich oder kann in Gänze (2,4 GByte) heruntergeladen werden. Dr. Suikat bietet zudem eine voll spielbare, kostenlose Testversion an, die den Ton periodisch kurzzeitig unterbricht. Lädt man die kostenpflichtige Definitionsdatei (ODF) mit der Freischaltung, so wird daraus eine funktionsfähige Hauptwerk-Orgel - ein zur Nachahmung empfohlener Weg für diejenigen, die vor einer Kaufentscheidung stehen.
Die Großhartmannsdorfer Orgel gehört zu den kleineren Werken des Meisters, von denen noch eine ganze Reihe vorhanden sind. Der Vertrag dafür kommt 1738 zustande; 1741 wird das Gehäuse gefasst. Im gleichen Jahr holt man Silbermann mit nicht weniger als 12 vierspännigen Wagen, beladen mit dem gesamten Baumaterial, aus Freiberg ab. Im Prospekt des zweimanualigen Instruments sieht man die Pfeifen des Principal 8' und Octava 4' - beide aus feinstem englischen Zinn, wie auch dieses Material für fast alle anderen Pfeifenkörper diente. Die oberen Zwischenfelder sind blind; der Kasten ist oben geschlossen - eine Maßnahme, die wesentlich zum Klangcharakter beitragen dürfte. Natürlich hat der Zinnglanz inzwischen etwas Patina angesetzt.
Die Kunstfertigkeit von Materialbehandlung und Mensurierung zeigt sich außerdem bei der Rohrflöte 8' im HW und dem Gedackt 8' im Oberwerk; beide sind aus Weichholz, abgelöst ab c# durch Metall.

In den nachfolgenden mehr als 250 Jahren ersetzte man Bälge und andere mechanische Teile; es erfolgten Reinigungen, Imprägnierung, Stimmung, Freilegung der originalen Gehäusefassung und 1990 schließlich eine Grundüberholung durch die Firma Hermann Eule. Da die vorhandenen Fotounterlagen unschöne Farbverfälschungen aufweisen, wird die Farbgebung im Bildtext beschrieben.
Für den außergewöhnlichen Klangcharakter gibt es eine ganze Reihe von Zeugnissen, nicht zuletzt auch eine von den Bautznern herausgegebene CD. Im Begleittext dazu wird der damalige Pirnaer Kirchenmusikdirektor Gerhard Paulik in seinem Gutachten aus dem Jahr 1952 zitiert: "...möchte ich der Großhartmannsdorfer Silbermannorgel den Vorzug größter Originalität und Unberührtheit zusprechen...Die Schönheit und Unität des Prinzipalchores überraschen durch ihre Ursprünglichkeit hier mehr als bei anderen Werken des Meisters...Beim Spiel des Pleno umflutet den Hörer ein Schallkraft ohnegleichen, ein wahrhaft argentiner (silbergeprägter) Klang, scharf und rein, jedoch nie das Ohr beleidigend....Eine feierliche Gravität verleiht die Posaune 16' dem Pedal..."
Die Disposition ist im Handbuch zum Sample-Satz enthalten; man kann es unter www.pipeloops.com/documents/manual.pdf herunterladen. Für diese Orgel und die in Fraureuth - beide sind in zeitlicher Nachbarschaft entstanden - hat Silbermann Registrieranweisungen ausgearbeitet; sie demonstrieren auf einmalige Art, wie sich der Orgelbauer die klanglich optimale Nutzung der Instrumente dachte. So wird hier bekundet, dass für ein 'reines volles Spiel' wirklich alle Register zu ziehen sind. Damit muss jede Stimme auch plenumfähig sein.
Solistischer ausgerichtet sind Kombinationen wie 'Flöthen-Zug' aus Rohrflöte 8', Spitzflöte 4' im HW und Gedackt 8' mit Rohrflöte 4' im OW. Dann gibt es auch den 'Scharffen reinen Zug' mit Angaben zu den Registern in allen Werken einschließlich Pedal und Koppeln. Das 'Stahl Spiel' verdankt seinen Namen der 'Härte' des Klanges; hier wirken Rohrflöte 8' und Spitzflöte 4' im HW zusammen, während im Oberwerk neben dem Gedackt 8' ausschließlich sämtliche Aliquoten mit Sifflöte 1' vorhanden sind. Wer sich für diesen Aspekt des Silbermannschen Schaffens interessiert, sei auf das Buch von Frank-Harald Greß "Die Klanggestalt der Orgeln Gottfried Silbermanns" hingewiesen, erschienen bei Bochinsky, ISBN 3923639783.
Wie von Meister Gottfried bekannt, legte er großen Wert auf Gravität - ein Faible, das unseren subwoofer-gewöhnten Ohren nicht mehr ganz fremd ist. Zur Ergänzung des hölzernen Prizipalbass 8' dient der gedeckte, ebenfalls aus Weichholz bestehende Subbass 16', dann aber auch das einzige Zungenregister als Posaunenbaß 16'. Metall ist hier nur bei Zungen und Kehlen zu finden; Stiefel und Köpfe der Pfeifen sind aus Ahorn und der Körper aus Weichholz. Es ist kaum anzunehmen, dass er als effektvolle tieffrequente Solostimme gedacht war, denn Silbermann hat hierzu keine Registrieranweisung hinterlegt und außerdem gehörte dann ein das Gleichgewicht haltender Vertreter des Zungenchors in mindestens einem der beiden Werke dazu.
Das Original ist auf a1=462 Hz gestimmt; die heutige Temperatur ist gleichschwebend. Die Sample-Aufzeichnung erfolgte mit 16 Bit/44,1 kHz unter Einbeziehung der räumlichen Umgebung, wobei die Längen 30 s bei den Manualen und 60 s beim Pedal betrugen. Reiner Suikat setzte die von ihm entwickelte Loop-Software für das Setzen der Looppunkte (bis zu 9) und als Hilfe bei den Release-Markern ein. Da es zur Zeit der Sample-Aufnahme die Release Layer-Technik noch nicht gab, wurden diese für portato und staccato nachträglich durch ergänzenden, per Faltung gewonnen Nachhall erstellt. Natürlich lassen diese sich bei puristischem Ansatz in Hauptwerk abschalten.

Der virtuelle Spieltisch Registrieranweisungen

Der virtuelle Spieltisch, von dem es nur ein Fenster gibt, gefällt durch seine übersichtliche Gestaltung, die selbst für einen 15'-Schirm noch keinen Wunsch offen lassen sollte. Wie man die grafische Umsetzung der Manubrien darstellt und wie weit sie sich dem Orginal annähert, dürfte gegenüber dem Gesichtspunkt sicheren Zugriffs und guter Lesbarkeit letzlich sekundär sein. Außerdem scheinen die realen Manubrien noch andeutungsweise durch. Immerhin hat man die Registerbeschriftung in etwa dem Vorbild angepasst (Ob dort Unterschiede bei Fraktur von Rund-s und Schluss-s vorkommen, ist auf keinem Foto zu ersehen). Sinnvollerweise entfällt der Kalkantenruf des Originalspieltisches.
Es bleibt auch noch Raum für gut dimensionierte Knöpfe der acht freien Kombinationen (zuzügl. Set und Cancel - als englische Begriffe ein Zugeständnis an die hoffentlich internationale Käuferschaft). Hinter den Textzeilen der untersten Reihe verbergen sich unsichtbare Schaltfelder: Mit 'Pitch' kann die Stimmung von 462 Hz auf 440 Hz ohne Laden einer Temperaturdatei oder Hilfe der HW-eigenen Stimmfunktion umgestellt werden. 'Compass' schafft das leidige Problem des begrenzten Tonumfangs ganz undogmatisch aus der Welt, indem nun g''' bei Manualen und f' im Pedal zugänglich sind.
Dass nun bei den Manualen eine (kleine) Repetition entsteht, fällt kaum auf. Beim Vorbild wirkt der Tremulant auf die gesamte Orgel; er lässt sich so umschalten, dass er nur das Oberwerk beeinflusst. Mit 'Wind' kann man das Windmodel von ideal stabil auf schwankend umstellen - ein Vorzug, der nur in Außer-USA-Ländern zugänglich ist. Der RAM-Bedarf ist - hauptsächlich von der mäßigen Nachhallzeit von 1,5 - 2 s beeinflusst - ausgesprochen zivil. Ohne jegliche Limitierungen beträgt er 2,7 GByte und lässt sich auf etwa 1,1 GByte ohne untragbare Kompromisse heruntersetzen.
Die hier als Ausschnitt abgebildete Registrieranweisung wurde der Broschüre zur erwähnten CD aus dem Hause Eule entnommen. Sie stammt nicht aus der Hand Gottfried Silbermanns, sondern entstand als Kopie erst 1780 anlässlich einer Reparatur durch einen anderen Orgelbauer. Für denjenigen, der eine echte Silbermann-Orgel in Hauptwerk spielen möchte, stellen die Anweisungen ein seltenes, mit dem eigenen Ohr nachvollziehbares Tutoral aus der Barockzeit dar. Es lässt das Zusammengehen von zu dieser Zeit gespielter Literatur, dafür üblichen Registrierungen (von denen es aus der Hand J. S. Bachs bekanntermaßen nur wenige gibt) und der originalen Klangstalt auf äußerst lebendige Weise erkennen.
Nach allem Vorausgeschickten kann man schon eine eindrucksvolle Klangsstruktur erwarten und wird tatsächlich nicht enttäuscht. Die Übertragung nach Hauptwerk (die immer die Gefahr mancher unwägbarer Abfälschung mit sich trägt) präsentiert ein charaktervolles Instrument mit ausgesprochen klaren Linien, auf dem sich die Literatur seiner Bauperiode (selbstverständlich davor und erstaunlich Vieles danach) mit Genuss spielen lässt. Mit Rücksicht auf den Stellenwert des Silbermannschen Originals in der Orgellandschaft Deutschlands schließen die Lizenzbestimmungen eine Nutzung des Sample-Satzes für öffentliche Aufführungen und Aufnahmen aus.
Hört man sich die vorhandenen Klangbeispiele an so fällt auf, dass bei manchen Harmonische und Aliquoten etwas zu kräftig in die Verschmelzung eingehen. Hier ist, ebenso wie übrigens auch beim Posaunenbass, eine vorsichtige Zurücknahme angebracht. Clips finden sich außer auf den Suikatschen Seiten bei www.pcorgan.com/Luister.html (mit Beispielen bis zu Guilmant und Widor).

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